Das Neue Kirchliche Finanzsystem (NKF) wird zurzeit in den Kirchenkreisen Münster, Iserlohn und Lüdenscheid-Plettenberg, den sogenannten Pilotkirchenkreisen, erprobt und eingeführt.
Hauptmerkmal des NKF ist die Umstellung vom bisherigen System der Kameralistik auf das System der doppelten Buchführung, die Doppik.
Nach 2013 soll es verbindlich in allen Gemeinden eingeführt werden.
Diese Umstellung ist mit erheblicher Mehrarbeit für die Verwaltungen verbunden und wird in den Pilotkirchenkreisen Stück für Stück umgesetzt. Neben einer umfassenden Kontrolle der Haushalte und Finanzen der Gemeinden, ermöglicht das System Doppik den Gemeinden, genauer zu planen und alle für sie relevanten Daten zeitnah abzurufen.
Alle Experten, z.B. aus dem Bereich der Diakonie, die schon längere Zeit, ähnlich wie die Kommunen, mit diesem System arbeiten, sind sich einig, dass damit alle für die Planung und Kontrolle eines Gemeindehaushaltes nötigen Daten zur Verfügung stehen.
Trotz einer zunehmenden Arbeitsverdichtung für alle kirchlichen Mitarbeitenden schließt sich der Vorstand des Westfälischen Pfarrvereins dieser Auffassung grundsätzlich an, obwohl noch viele Fragen, wie z.B. die, der Abschreibungen für Kirchengebäude, offen sind.
Darüber hinaus ist nun in unserer Landeskirche die Einführung der sogenannten Haushaltsbücher I und II geplant. In ihnen sollen die Presbyterien detailliert alle geplanten und durchgeführten Maßnahmen in einer Gemeinde dokumentieren und anhand von Kennziffern abrechnen. Im Haushaltsbuch II sollen alle eingesetzten Gelder, inklusive der Gehälter aller Mitarbeitenden und der Pfarrerinnen und Pfarrer, auf alle durchgeführten Maßnahmen umgelegt und abgerechnet werden.
Der Pfarrverein sieht durchaus die Chancen, die die Einführung des Haushaltbuches II mit sich bringt: Der Idee, künftig vorrangig die Ziele des Arbeitens zu formulieren und sodann zu überlegen und zu planen, wie diese Ziele mit den vorhandenen Ressourcen erreicht werden können, kann der Pfarrverein zustimmen.
Fraglich erscheint uns allerdings, ob der Wechsel dieser Denkrichtung den erheblichen Mehraufwand an Verwaltung, den die Einführung der Haushaltsbücher mit sich bringen, rechtfertig und ob dieser Wechsel der Denkrichtung nicht auch mit den zu Verfügung stehenden Mitteln der Doppik erreicht werden kann.
Die geplante Einführung der Haushaltsbücher I und II stößt beim Vorstand des Westfälischen Pfarrvereins auf Kritik und der Vorstand gibt folgende Einwände zu bedenken:
- Der in Diakonie und Pflege häufig monierte Umstand eines ausufernden Dokumentationszwanges hielt mit der Einführung von Haushaltsbuch I auch Einzug in den Alltag der Presbyterien. Immer wieder wird beklagt, dass nur noch wenige Frauen und Männer bereit sind, für das Amt einer Presbyterin oder eines Presbyters zu kandidieren.
- Wir fragen: Wer wird angesichts der zu erwartenden Fülle von Mehraufgaben in Zukunft bereit sein, diese Aufgaben zu übernehmen?
- Warum sollten die im System Doppik erhobenen Daten nicht auch im kirchlichen Umfeld — wie in der Diakonie und den kommunalen Haushalten, — ausreichen?
- Wie kann verhindert werden, dass die Einführung monetärer Kennzahlen von Gemeindegliedern in erster Linie als Legitimationsdruck bei Veranstaltungen im Gemeindeleben empfunden wird?
- Was hindert eine Gemeinde bereits jetzt, ihre finanzielle Planung mit ihrer Gemeindekonzeption abzugleichen? Alle Werkzeuge sind vorhanden und können in aller Freiheit angewandt werden. Wie das geschieht, ist allein Sache der Gemeinden.
- Wem nützt ein Mehr an Bürokratie?
Viele Pfarrerinnen und Pfarrer empfinden schon jetzt ein Ungleichgewicht zwischen der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit für pastorale Kernaufgaben gegenüber den zu leistenden Verwaltungstätigkeiten im Pfarramt. Der Vorstand des Pfarrvereines befürchtet, dass sich dieses Ungleichgewicht durch die Einführung der Haushaltsbücher I und II weiter verstärken wird.
Neben dem befürchteten Verwaltungsmehraufwand, sieht der Pfarrverein außerdem die Gefahr, dass die Einführung von Haushaltsbuch II schließlich zu einem inakzeptablen Paradigmenwechsel von der Theologie hin zu Ökonomie führen kann. Theologie und Seelsorge, Spiritualität und geistliches Leben, Gemeinschaft, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind Kategorien, deren Legitimität als Grundlage der Arbeit in unseren Kirchengemeinden und funktionalen Diensten in ihrer Bedeutung abnehmen würde. Am Ende darf nicht nur das Geld zählen.
So würde mit der Einführung von Haushaltsbuch I und II genau das Gegenteil dessen erreicht, was eigentlich das Ziel von NKF sein soll: Statt eines Wechsel der Denkrichtung, von den Ressourcen hin zu den Zielen der Arbeit als Ausgangspunkt in der Haushaltsplanung, könnte Arbeit in den Gemeinden und Ämtern und Werken ausschließlich von ihrem ökonomischen Nutzen her gedacht werden.
- Wie kann sichergestellt werden, dass die Erfahrung von Pfarrerinnen und Pfarrer, die aus ihrer täglichen Praxis wissen, dass eben nicht alles planbar und verfügbar ist, auch weiterhin in die Haushaltsplanung einfließt? So lässt sich beispielsweise die theologische Arbeit im Predigtdienst oder der Faktor Zeit in der Seelsorge nicht auf Euro und Cent umlegen.
- Der Vorstand des Pfarrvereins befürchtet, dass das, worunter viele Menschen leiden und was fundamental der Verkündigung des Evangeliums widerspricht, nämlich die Ökonomisierung des ganzen Lebens, mit der Einführung, insbesondere von Haushaltsbuch II, Einzug in alle Lebensäußerungen kirchlichen Lebens hält.
- In These 6 der Barmer Theologischen Erklärung lautet die Verwerfung:
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.« - Auch wenn das Unverfügbare — Gott sei Dank — nicht verfügbar gemacht werden kann, wäre schon die Quantifizierung des Unverfügbaren in Euro und Cent, z.B. bei der Dauer einer Predigtvorbereitung, eine im Sinne der Bekenntnisschrift zu verwerfende Selbstherrlichkeit. Die Verkündigung des Wortes Gottes darf nicht in den Dienst, den fragwürdigen Zweck und den Plan eines Haushaltbuches II gestellt werden.
- Im Ordinationsvorhalt unserer Kirche heißt es:
„Das Zeugnis der Heiligen Schrift ist Quelle und Richtschnur deines Auftrages. (…)
Vertrauen soll unseren gemeinsamen Dienst prägen. (…)«
Das Zeugnis der Heiligen Schrift und gegenseitiges Vertrauen — auf dieser Grundlage verrichten Pfarrerinnen und Pfarrer in der Evangelischen Kirche von Westfalen Tag für Tag, viele von ihnen Nacht für Nacht, treu ihren Dienst.
Der Vorstand des Westfälischen Pfarrvereins lehnt entschieden einen Wechsel dieser Grundlagen des Pfarrdienstes hin zu einem stärker durch die Ökonomie geprägten Dienst ab.
Der Vorstand des Westfälischen Pfarrvereins hat auf seiner Sitzung am 1.10.2012 folgenden Beschluss gefasst:
Der Vorstand des Westfälischen Pfarrvereins lehnt die Einführung von Haushaltsbuch I und II im Zuge der Einführung des neuen Kirchlichen Finanzsystems unter den gegebenen Bedingungen ab. Er bittet die Mitglieder des Westfälischen Pfarrvereins, sich auf allen Ebenen für Regelungen und Maßnahmen stark zu machen, die eine hilfreiche und entlastende Begleitung der Einführung des NKF auf der Ebene der Kirchenkreise und Gemeinde, für Pfarrerinnen und Pfarrer, kirchliche Mitarbeitende und Ehrenamtliche sicherstellt.
Für den Vorstand
Pfarrer Jan-Christoph Borries, Vorsitzender